Der FCSG 1879 steckt in einer schwierigen Phase. Nach vier Niederlagen in Folge und mit einer unfassbar langen Verletztenliste kämpfen die Espen darum, ihre gute Ausgangslage nicht zu verspielen. Der Strich, der die Tabelle teilt, kommt näher. Eine Glosse.
Geschichte und Aktualität
Die Sache scheint sich zu wiederholen. Nach einer hervorragenden Vorrunde folgt eine ernüchternde Rückrunde. Die Ausganslage im Winter war grossartig. Die Ausbeute Ende Saison wohl wieder zu klein. So wird rund um den FCSG zurzeit gesprochen und geschrieben. Was sich wiederholt, ist aber vor allem die Erzählung. Das Narrativ! Ob sich tatsächlich auch die Geschichte wiederholt, ist noch nicht entschieden – ob die einzelnen Spielzeiten miteinander verglichen werden sollten, sowieso fragwürdig. Nach vier Niederlagen hintereinander ist der Start ins neue Jahr missraten. Alle Spiele in einen Topf werfen, darin rühren und schliesslich Erkenntnisse daraus schöpfen? Das ist nicht angebracht. Es gilt vielmehr, die einzelnen Spiele auseinanderzuhalten. Das Lugano-Spiel muss abgehakt werden. Servette war ein starker Gegner und die Espen zu wenig bereit. In Luzern war ein Aufbäumen zu sehen. Ein Punktgewinn wäre möglich gewesen und in Basel sah bis zum Gegentreffer vieles sehr ordentlich aus. Das Team, das die lange Verletztenliste phasenweise vergessen liess, dominierte den FCB bis zum Rückstand. Danach erkannte man zwar den Willen, in die Partie zurückzufinden. Die Umsetzung war aber zu fahrig, zu nervös und zu überhastet. Dieses Spiel hätte man nicht verlieren dürfen. Zwölf Punkte gab es während der letzten zwei Wochen zu gewinnen. Null Punkte hat man tatsächlich geholt. Auch in Sachen Tore bereitet die Situation Kopf- oder je nach Anfälligkeit Magenschmerzen. Gegen Lausanne und Lugano klappte es noch je einmal, danach gelang den Espen kein einziger Treffer mehr. Die Aktualität sieht also alles andere als rosig aus. Die Geschichte der Saison besteht aber auch aus einer eindrücklichen Vorrunde. Einer grossartigen Serie an Heimsiegen, aus etlichen Rückständen, die noch in Siege verwandelt wurden und aus fast schon magischen Nächten, in denen man zum Beispiel den Meister aus dem kybunpark schoss. Beides ist Realität. Beides hat das gleiche Team fabriziert und beides gehört zur Ausgabe 23/24 des FC St.Gallen.
Meister und Absteiger
Das alles unter einen Hut zu bringen, ist also nicht ganz einfach. Dem Gros der St.Galler Anhängerschaft dürfte es aber gelingen. Es tickt nämlich bipolar – also nur hoch oder tief, niemals gemittet. Nach einem Sieg wird sofort und reflexartig vom Meistertitel geträumt. Die Realität wird ausgeblendet und von Trainer und Spielern wird erwartet, jetzt endlich mal diesen «Kübel» heimzubringen. Nach einer Niederlage hingegen fühlt man sich dem Abstieg näher als je, sieht die Zukunft nur noch schwarz, fordert einen richtigen Stürmer, einen neuen Trainer, einen medizinischen Staff, der gefälligst dafür sorgt, dass sich nur noch Ergänzungsspieler verletzen – aber sicher keine Systemrelevanten mehr! Und jetzt? Schon wieder? Schon wieder wird es nichts mit einem Spitzenplatz in der Super League? Schon wieder brechen wir in der Rückrunde ein? Schon wieder läuft alles gegen uns? IMMER, NIE, SCHON WIEDER, DAUERND, STÄNDIG! Temporale Adverbien. Auch in diesem Frühjahr kommt kaum eine Diskussion über den FCSG ohne sie aus. Angesichts dieses emotionalen Wechselbads enden die Saisons dann erstaunlich oft und ziemlich nüchtern einfach im Mittelfeld der Tabelle. Man könnte auch sagen im Niemandsland. In den letzten zehn Jahren lagen die Espen dreimal auf Platz 7, dreimal auf Platz 6, zweimal auf Platz 5 und einmal wurden sie Vizemeister. Zurzeit ist es Platz 4. St.Gallen ist ein Mittelfeldclub, der nur in Erzählungen und Erinnerungen ständig grossartige Ausgangslagen verspielt, nahe an Titelgewinnen ist und zu oft Ehrenrunden in der zweithöchsten Liga drehen muss. Eigentlich läuft ständig alles sehr stabil!
Zufall und Masterplan
Die Einordnung der aktuellen Situation in den historischen, von Extremen geprägten Kontext reicht uns als Fans natürlich nicht. Es muss jetzt gründlich analysiert und dann sofort gehandelt werden. Die Verantwortlichen für diese ständigen Niedergänge der gloriosen und auf dem europäischen Festland immerhin ältesten Mannschaft der Welt – wir sagen stolz 1879 – müssen ausfindig gemacht und anschliessend wohl ausgewechselt werden. Neue Spieler müssen her. Solche, die sofort helfen und dann soll das ganze ENDLICH (dieses Adverb ging vorhin fahrlässig vergessen) mal ordentlich organisiert, geplant und trainiert werden! Zum Beispiel Standards! Oder die Laufwege der Stürmer! Von einem Stürmertrainer! Danach soll der Mentaltrainer gleich noch dafür besorgt sein, dass «die Angst des Tormanns beim Elfmeter» auf den Gegner überschwappt. Weil: Hey, wir sind St.Gallen und der «Goalie bin ig». Und vor allem anderen benötigen wir einen Masterplan, der uns endlich einen verdammten «Kübel» einbringt. Alain Sutter! Ja natürlich, der hätte das gekonnt. Also Roger Stilz: «Auf gehts!» Und falls es nicht klappt, soll der Hüppi hinstehen und sich erklären! By the way: In den Jahren zwischen 2012 und 2019 untersuchte die Sporthochschule Köln rund 7'000 Tore aus der Premier League. Dort gibts noch ältere Clubs als den unsrigen. Das Fazit: Bei rund der Hälfte aller Tore ist die Entstehung zufällig. Sie basiert also auf Glück oder Pech! Seht ihr auch Jozo Stanic vor eurem geistigen Auge, wie er den Ball an die Latte köpft?
Befreiung und Stillstand
So, und jetzt kommt am Samstag Winti in den kybunpark. Unser Lieblingsgegner seit Vaduz nicht mehr in der obersten Schweizer Spielklasse vertreten ist. «Mir ist egal, wer kommt. Wir müssen jetzt einfach gewinnen», sagt Jozo Stanic, nachdem er den Ball an die Latte statt ins Tor – aber lassen wir das. ENDLICH wieder einmal gewinnen. ENDLICH wieder mal ein Tor erzielen. Nicht STÄNDIG das Gebälk treffen oder SCHON WIEDER schlecht verteidigen. Es ist erst Dienstag. Noch viermal schlafen. Und dann gibts die grosse Befreiung, den Start in eine neue Siegesserie oder den Stillstand in der Entwicklung. Und jeder weiss: «Stillstand ist Rückschritt». Am Samstag um circa 19.50 Uhr wissen wir mehr. ENDLICH werden wir DEFINTIV einschätzen können, wohin die Reise gehen wird. In Richtung Meisterschaft oder doch eher in Richtung Challenge League. Ach ja. Es gibt auch noch die sogenannte EWIGE Tabelle des Schweizer Spitzenfussballs. Dort belegen wir übrigens Platz sieben.
Hopp Sangalle!
#GrüewissImHerz #Mat(s)chImKopf
Bilder: Franz Schefer und Manuel Nagel
Text: Marc Baumeler
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